Vom Kämpfer zum Staatsmann

Momentaufnahme Nr. 5: Aus dem Agitator wird ein respektierter Staatsmann

Mit Jacques Schmid betrat ein sozialdemokratischer Parteiführer das Parkett der kantonalen Politik, welcher nicht, wie seine beiden Vorgänger Wilhelm Fürholz und Hans Affolter, aus dem Solothurner Freisinn hervorgegangen war. Er wurde am 2. April 1882 im zürcherischen Altstetten geboren. Seine Mutter starb, als der Kleine erst sieben Jahre alt war, an der Tuberkulose, der Vater musste mit seinem Bahnangestelltenlohn 14 Kinder alleine durchbringen. Nach einer Lehre als Schriftsetzer begab sich Jakob auf die Walz, die ihn durch Frankreich und Deutschland führte. Was „bürgerliche Klassenjustiz“ bedeutete, musste er am eigenen Leib erfahren: Da er sich als Korporal geweigert hatte, seine Untergebenen während eines Arbeitskonflikts bei den Automobilwerken Arbenz in Albisrieden für Streikbrecherarbeit missbrauchen zu lassen, musste er ein halbes Jahr lang hinter Gitter. Nach kurzer Anstellung als Sekretär der Zürcher Arbeiterunion und danach als Redaktor am „Volksrecht“ wurde er 1911 von der sozialdemokratischen Pressunion nach Olten berufen, um  das seit 1905 bestehende Parteiblatt, die „Neue Freie Zeitung“ (später „Das Volk“, danach „Solothurner AZ“) als Tageszeitung über die Runden zu bringen.
Die Solothurner Genossen waren auf Unterstützung von aussen dringend angewiesen. Im Vergleich mit Zürich steckte hier die gewerkschaftliche und politische Organisation der Arbeiterschaft noch in den Kinderschuhen. Von den durch die eidgenössische Fabrikstatistik erfassten 25’000 Arbeitnehmenden waren bloss etwa 3000 gewerkschaftlich organisiert, die Kantonalpartei zählte kaum tausend Mitglieder. Das Unternehmertum stand noch fest auf dem Herr-im-Hause-Standpunkt, die freisinnige Partei verfügte über die absolute Mehrheit im Kantonsrat und auch in den meisten Gemeinderäten. Und die katholisch-konservative Volkspartei mit ihren christlichsozialen Gewerkschaften kam als Bündnispartner höchstens in einzelnen Fällen in Frage.

Von den Gegnern beschimpft und bedroht
Schmids Kollege vom freisinnigen „Oltner Tagblatt“, der spätere Bundesrat Walter Stampfli, hatte dem Neuankömmling zunächst einen „ehrlichen Kampf mit ehrlichen Waffen“ angeboten.  Was das konkret zu bedeuten hatte, erfuhr Schmid indessen recht bald. In ihrem erbitterten Kampf gegen die „Roten“ schreckten die Bürgerlichen vor nichts zurück. Schmid erinnert sich: „Der Redaktor der sozialdemokratischen Tageszeitung (…) wurde auf der Strasse beschimpft und mit Steinen beworfen“ und einmal schlugen ihm „Buben in Mannshosen nächtlicherweise sämtliche Fensterscheiben und auch noch Ziegel auf dem Dach seines bescheidenen Heimes kaputt…“

In zäher Arbeit, die ihn zeitweise an den Rand der Erschöpfung brachte, formte Schmid, der seit 1912 auch als kantonaler Parteipräsident  wirkte, aus der schwachen Oppositionspartei eine kampffähige Truppe. „In heller Begeisterung radelte der Redaktor fast Abend für Abend und am Sonntag (…) in die Arbeiterdörfer hinaus, um zu referieren.“ In rascher Folge entstanden sogar in den konservativen Hochburgen des Schwarzbubenlandes kleine Parteisektionen. Auch die Gewerkschaftsbewegung verzeichnete, besonders dank dem unermüdlichen Einsatz der Genossen im Leberberg und im Wasseramt, grosse Fortschritte. In den Jahren des Ersten Weltkriegs setzte sich, nach einer Phase der Stagnation, der Aufstieg der Sozialdemokratie fort, 1917 gelang es durch die Gründung des kantonalen Gewerkschaftskartells, die Gewerkschaften an die Partei zu binden.  In den kantonalen Wahlen von 1917 konnte erstmals die absolute Mehrheit des Freisinns gebrochen werden. Im gleichen Jahr wurde Schmid in den Nationalrat gewählt.

Zu Unrecht als «Bolschewist» gebrandmarkt
In den theoretischen Diskussionen, die in jenen Jahren an den schweizerischen Parteitagen mit Leidenschaft geführt wurden, nahm Schmid, der sich selbst stets als Marxisten bezeichnete, eine klare Position ein. Das Ziel, die bürgerlich-kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu überwinden, stand für ihn damals ausser Frage. Im Unterschied zur Parteilinken, welche dabei die Anwendung gewaltsamer Mittel nicht ausschloss, stellte sich Schmid stets auf den Boden der Demokratie. Die russische Revolution im Februar 1917 begrüsste er begeistert und liess seiner Erbitterung über die „Erdrosselung der sozialen Revolution in Russland durch den deutschen Militarismus“  und insbesondere über das Versagen der deutschen Sozialdemokratie in einer Artikelserie der „Neuen Freien Zeitung“  freien Lauf. Als sich der Parteitag der SPS im Frühjahr 1919 dem Diktat der moskautreuen „Dritten Internationalen“ unterwerfen wollte, gehörte Schmid zu jenen, welche diesen Entscheid durch die Befragung der Parteibasis umstossen konnten.    

In den Novembertagen 1918 organisierte Schmid zusammen mit den Spitzen der Oltner Arbeiterunion die Protestkundgebung vom 9. November auf dem Hübeliplatz. Seine Erwartung, dass der Bundesrat durch die landesweite Machtdemonstration der organisierten Arbeiterschaft von seiner Repressionspolitik abkommen würde, wurden aber enttäuscht, und deshalb unterstützte er auch die Ausrufung des unbefristeten Generalstreiks und sorgte dafür, dass wenigstens in Olten gewaltsame Ausschreitungen unterblieben.
Dies hinderte die politischen Heisssporne im bürgerlichen Lager nicht daran, den SP-Präsidenten für die Gewaltexzesse in Solothurn und Grenchen verantwortlich zu machen und ihn als „Bolschewisten“ zu diffamieren. Dieser Ruf verfolgte Schmid über Jahre hinweg und veranlasste die Freisinnigen noch 1931, seine Wahl in den Regierungsrat mit allen Mitteln, aber letztlich doch erfolglos, zu bekämpfen.  Mit Unterstützung der Konservativen wurde Jacques Schmid am 9. Februar 1931 in die Kantonsregierung gewählt.

Auf dem Weg zur staatstragenden Partei
Dieser Erfolg war ein wichtiger Markstein auf dem Weg, welchen die kantonale SP seit den frühen Zwanzigerjahren eingeschlagen hatte. Schritt für Schritt wuchs sie in die politische Mitverantwortung hinein. Dem entsprechend hatte sich die Partei gegenüber dem stets minoritären linken Flügel schroff abgegrenzt, und Regierungsrat Jacques Schmid bemühte sich erfolgreich, das in ihn gesetzte Vertrauen auch jenseits der Parteigrenzen zu rechtfertigen.   

So spiegelt sich In der politischen Biografie von Jacques Schmid die Entwicklung der Solothurner Sozialdemokratie von einer kämpferischen Oppositionsbewegung zur staatstragenden Partei an der Seite des Freisinns und der heutigen CVP. An der Bahre des einstigen Landammanns und Nationalratspräsidenten fanden selbst seine politischen Gegner Worte der Achtung und Anerkennung: „Er darf die Augen im Bewusstsein geschlossen haben, dass sein Einsatz nicht vergeblich war, und dass, wer dem Volk so gedient hat wie er, seine Spuren im Volk hinterlassen wird.“

Peter Heim

Video-Portrait Jacques Schmid

Historiker Peter Heim schildert an einigen Schauplätzen in Olten den Werdegang Jacques Schmids und spricht über seine Entwicklung vom gefürchteten Agitator zum respektierten Staatsmann.

Abkürzungen zu den Themen (auf Youtube in neuem Fenster):

Bilder von Jacques Schmid und seinem Umfeld

Quellenangabe Plakat:

Die Aufnahme zeigt Jacques Schmid um 1930. «Roter Mephisto» war eine von zahlreichen diffamierenden Bezeichnungen, mit denen Jacques Schmid in den bürgerlichen Zeitungen regelmässig bedacht wurde. (Bild Schweizerisches Sozialarchiv, Bestand Edy Meyer)

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